Wie schaffen wir es 100 Jahre selbstbestimmt zu leben? Der Lindera Mobilitätstest unterstützt dabei. Er analysiert die Gangbewegung mit Hilfe einer einfachen Smartphone-Kamera. Dank künstlicher Intelligenz wird das diagnostische Auge des Arztes oder der Pflegekraft imitiert. So digitalisiert Lindera die Analyse der Risikofaktoren, um Stürze im Alter zu verhindern. Ziel ist es die Pflegedokumentation zu systematisieren, Kosten zu verringern und Angehörige wie Pflegekräfte zu entlasten. Ich habe Gründerin und CEO Diana Heinrichs in Berlin zum Interview getroffen.

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Wie bist du auf die Idee zu Lindera gekommen?

Ursprünglich komme ich aus der IT-Branche, ich habe damals bei Microsoft gearbeitet. Parallel hat meine Mutter neben ihrem Vollzeitjob die Pflege meiner Großmutter übernommen. Ich habe mich gefragt warum die Pflege bei uns, ohne mehr Geld oder Zeit als andere, funktioniert, während sie das bei Millionen von Familien nicht tut.

Technologie schafft Lösungen und es muss einfach neue Ansätze für die alternde Gesellschaft geben. Ich habe mich also freistellen lassen und ehrenamtlich in der Pflege gearbeitet, um einen grundlegenden Eindruck in die Probleme und Prozesse zu bekommen.

„Technologie schafft Lösungen und es muss einfach neue Ansätze für die alternde Gesellschaft geben“

Besonders das Thema Stürze hat sich als belastend gezeigt. Normalerweise wird die Mobilität im Zuge eines geriatrischen Assesments vom Arzt durchgeführt. Ich habe mich gefragt, warum man diese Untersuchung nicht einfach mit dem Handy aufnehmen und auswerten kann. Das mathematische Problem ein 3D-Bild aus der Aufnahme zu generieren habe ich dann formuliert und lösen lassen. Daraus ist Lindera entstanden.

Wie genau funktioniert eure künstliche Intelligenz?

Wir sind auf Bewegungsanalysen über die einfache Handykamera spezialisiert. Die ältere Person wird gefilmt, anhand dessen können wir das Gangbild und die Risikofaktoren für einen Sturz analysieren. Die App nimmt ein kurzes Video auf und stellt ein paar Fragen zur Vorgeschichte und Medikamenteneinnahme. Zusätzlich scannen wir jede Woche die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diesem Thema. Die Ergebnisse und Empfehlungen können wir dann dem Pflegepersonal oder den Ärzten bereitstellen.

Für wen ist die Nutzung von Lindera besonders geeignet?

CEO & Gründerin von Lindera Diana Heinrichs

Wir arbeiten aktuell besonders mit Pflegeeinrichtungen zusammen, weniger mit Privatanwendern. Das wäre dann ein nächster Schritt. In einem Netzwerk aus Fachkräften können wir uns optimal austauschen und den Kontakt zu pflegenden Angehörigen aufbauen. Wir wollen die App aber natürlich für möglichst viele Menschen zugänglich machen.

Was sind die häufigsten Ursachen für Stürze?

Die Ursachen ergeben sich meistens aus einer Kombination von Umständen. Die Sicht nimmt ab und der Kreislauf wird schwächer, dazu kommen noch Medikamente und deren mögliche Wechselwirkungen. Wer außerdem schon einmal gestürzt ist, hat meistens Angst vor einem erneuten Fall, bewegt sich noch weniger und baut Muskeln ab. Gezieltes Training, festes Schuhwerk oder zum Beispiel ein Nachtlicht können für die Sturzprävention hilfreich sein.

Wie kann Lindera Pflegekräfte gezielt entlasten?

Der Pflegeberuf wurde in den letzen Jahren nicht besonders attraktiv dargestellt. Mittlerweile gibt es wieder eine Gegenbewegung, die viel für die Branche tut. Trotzdem ist es schwer die vorgegeben Expertenstandards einzuhalten, denn die Arbeit dreht sich hauptsächlich um den Menschen. Da kommt es auf das Zusammenspiel von Fachkräften, Therapeuten und Ärzten an. Wir nehmen Pflegekräfte die Dokumentationsarbeit ab, so dass der Freiraum für die Arbeit mit den Senioren wieder gegeben ist.

Denkst du die Pflegebranche braucht vermehrt digitale Strukturen?

Die Strukturen in der Pflege sind unglaublich starr. Fachpersonal kann wenig freie Entscheidungen treffen. Innovationen sind insofern schwierig umzusetzen. Trotzdem sind der Mangel an Fachkräften und die Arbeitsbelastung, trotz Personaluntergrenzen, hoch. Wie kann man also dem Pflegepersonal Druck nehmen? Es gibt bereits gut strukturierte Träger, die ihre Pflegekräfte als zentrale Ressource sehen. Das ist schon ein toller Wandel.

„Pflege bleibt eine der Branchen, die am allerwenigsten durch digitale Anwendungen oder Roboter ersetzt werden kann“

Pflege bleibt eine der Branchen, die am allerwenigsten durch digitale Anwendungen oder Roboter ersetzt werden kann. Ich sehe den technischen Fortschritt hier eher als Ergänzung. Wir haben leider Auflagen geschaffen, für die viele morgens nicht mehr so gerne aufstehen. Wie also können wir Abläufe so gestalten, dass die Leute wieder Spaß an ihrer Arbeit haben? Zu dieser Attraktivität müssen wir als Gesellschaft zurückkommen – auch mit Hilfe der Digitalisierung.

Sollte man nicht viel eher die familiäre Pflege stärken?

Mir persönlich ist es wichtig, dass mein Job mir die Möglichkeit gibt, mich um meine Familie zu kümmern. Wir können uns die Rahmenbedingungen schon selbst schaffen. Es müssen nur einfach flexiblere Modelle gefunden werden. Arbeitnehmer sollten sich deswegen unbedingt frühzeitig Gedanken über das Thema Alter und Pflege von Angehörigen machen und diese Problematik auch konkret ansprechen.

Generell sollten Schwerpunkte wie Alter, Generationsaustausch und digitale Partizipation mehr in den Fokus rücken. Vielleicht haben wir auch ein bisschen den Respekt vor der Pflege verloren und sehen nur noch eine alternde Maße, die wir irgendwie versorgen müssen. Diesen Schalter müssen wir wieder umlegen, so dass ein wertschöpfender Austausch entsteht.

Welche Rolle soll Lindera dabei spielen?

Diana Heinrichs gemeinsam mit Gesundheitsminister Jens Spahn

Wir wollen einen weltweiten Impact haben. Unsere künstliche Intelligenz ist einzigartig. Wir haben gerade den Goldstandard an Messgenauigkeit geschlagen und lösen damit einen Messteppich ab, der 1000x mehr Kosten erzeugt. Lindera ist günstiger, präziser und ortsunabhängig. Diese Chance wollen wir nutzen. Momentan fokussieren wir uns auf das geriatrische Assesment. Um Therapeuten besser zu unterstützen, wollen wir Lindera auch auf die Orthopädie ausweiten.

„Jetzt entscheidet sich, ob diese Innovationen von EU-Bürgern kommen oder aus dem Ausland“

Sowieso sollten wir vermehrt Unternehmen aus Deutschland heraus aufbauen, die Techniknischen besetzen. Momentan haben wir die Möglichkeit die Gesundheitsversorgung digital zu unterstützen. Jetzt entscheidet sich, ob diese Innovationen von EU-Bürgern kommen oder aus dem Ausland. Deutschland sollte nicht nur ein Land der Ideen sein, sondern auch der Macher und im Moment gibt es im Gesundheitssystem genug Möglichkeiten die Ärmel hochzukrempeln und anzupacken.

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2 Responses

  1. Interessant, dass du ein 3D-Bild aus der Aufnahme des Ganges generiert hast. Ich denke, so kann man Pflegefachkräfte wirklich unterstützen. Ich denke, dass viele ältere Leute der neuen Technik nicht trauen werden. Das Zusammenspiel von Mensch und Maschine wird aber die Zukunft sein.

  2. Ich möchte mich herzlich für den großartigen Artikel bedanken! Ich habe ihn mit großem Interesse gelesen und konnte viele neue Erkenntnisse daraus ziehen. Ich freue mich schon auf die nächsten Beiträge.
    LG

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