Es passierte am ersten Tag in der Grundschule. Ich war froh, dass ich einen Stuhl in der zweiten Reihe ergattert hatte und sich ganze zehn Buntstifte in meinem Federmäppchen befanden. Da geschah es. “Was willst du werden, wenn du einmal groß bist?“, fragte mich die Lehrerin. Ich zuckte zusammen. Jetzt musste ich mich entscheiden. Diese Antwort würde den Rest meines Lebens definieren. Vor lauter Aufregung sagte ich: „Ich will Steinbock werden.“ Heute bin ich „groß” und Überraschung – nicht Steinbock geworden. Dennoch hat sich seit diesem Tag wenig verändert. Ich habe immer noch eine große Leidenschaft für Buntstifte und die Frage „Was willst du mal werden?“ bzw. „Was ist dein Traumjob?“ begleitet mich nach wie vor.
Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, an das wir uns zu halten haben. Finde die Arbeit, die dich hundertprozentig erfüllt. Deinen Traumjob! Ok, ich bin privilegiert genug mir diese Frage überhaupt stellen zu dürfen. Aber muss ich mich überhaupt auf die Suche nach meinem ultimativen Job begeben? Und was erwartet mich, wenn ich ihn gefunden habe? Danke Mama, Papa und entfernte Verwandte für die gutgemeinten Ratschläge. Doch damit ist jetzt Schluss. Mythos Traumjob? Time to get busted.
Finde einen Job, von dem du keinen Urlaub brauchst
“Finde einen Job, von dem du keinen Urlaub brauchst.” Klar, Urlaub ist wichtig. Jeder braucht eine Pause. Um 5 Uhr morgens aufstehen macht nie Spaß. Nein, auch nicht, wenn man eine Kussszene mit Ryan Gosling hat – Sorry Ryan, Morning Breath!
Trotzdem begegnete mir dieser Spruch bei meiner Suche immer wieder. Was sich anhört wie ein Wandtattoo bei Wish bestellt, stellte sich zusätzlich noch als irreführend heraus. Wie so viele suchte ich den Job, der mich in jedem Arbeitsmoment erfüllte. Was, wenn das aber die falsche Herangehensweise war?
Svenja Hofert, die als Karriere- und Managementcoach arbeitet, findet in einem SPIEGEL-Beitrag klare Worte: “Man solle sich die Suche sparen, denn es gebe keine höhere Berufung oder Bestimmung.” Stattdessen sei das Leben eine Kette aus Entscheidungen, die alle zu etwas Großartigem führen können. Klartext: Viele Menschen, mich mit eingeschlossen, suchen eine Bestimmung und hoffen sie in der Arbeitswelt zu finden. Was aber, wenn wir gar nicht Teil von etwas Höherem sein müssen? Fangen wir doch einfach klein an. Wie wäre es mit einem Job, der nur zu sechzig Prozent unseren Leidenschaften entspricht? Wie wäre es mit einer Tätigkeit, die wir gerne machen, von der wir aber auch ab und an Urlaub brauchen?
Denn das Amour fou – diese süße Hassliebe – ist doch eigentlich genau das, was unseren Job erst so spannend macht.
Folge deiner Leidenschaft
Nun folgt der poetischste Ratschlag, den man einer Traumjob-suchenden Seele geben kann: „Folge deiner Leidenschaft, der Rest gibt sich von allein.“ Ich gehöre zu diesen Seelen. Also ließ ich mich, wie so viele auf dem glitzernden Regenbogen, dieser Worte davontreiben. Was erfüllt mich? Was macht mir Spaß? Das fragte ich mich melancholisch am Fenster sitzend während ich “Moon River” auf der Gitarre zupfte. Halt, das war Audrey Hepburn. Meine Suche lief etwas zeitgemäßer ab und involvierte ein Smartphone, zu viel Wein und ein Tik Tok Video, über das wir nicht wieder sprechen werden.
Währenddessen stellte ich mir die Frage: Welche Arbeit könnte Ausdruck meiner Identität sein? Ich male gerne, bin ich also eine geborene Künstlerin? Schnell stellte sich heraus, dass ich gerne male, aber nicht gut. Also musste etwas anderes her. Sternzeichen finde ich interessant! Vielleicht werde ich Wahrsagerin. Während ich versuchte nach allergiefreundlichen Wandteppichen zu suchen, kam mir die Erkenntnis.
Ich liebe meine Hobbys, weil ich währenddessen den Kopf abschalten kann. Sie bieten mir Raum für meine Leidenschaften, ohne dass ich mir Gedanken über die Qualität des Endprodukts machen muss. Schnell zählte mein mathematisch hochbegabtes Gehirn eins und eins zusammen: Ich will mit meiner Leidenschaft kein Geld verdienen.
Wir sollten also lernen zwischen Leidenschaften, die sich mit unserer Arbeit vereinbaren lassen und Hobbys, die Inseln zum Durchatmen bieten, zu differenzieren.
„Der Traumjob“ – Ein Spielfilm mit Happy End?
Dieser Film ist ein echter Kassenschlager. Glaubst du nicht? Dann stell es dir mal vor: Erste Szene „Der Traumjob“, zweite Szene „das Suchen des Traumjobs“, dritte Szene „das Finden des Traumjobs“. Happy End uuuund CUT!. Das Ganze noch in guter alter Til Schweiger Manier eingefärbt. Done.
Und was kommt danach? Ohne Exklusiv-Interview mit den Brüdern Grimm, weiß ich, dass sich mindestens eine handvoll Darsteller*innen nach nach Ende von Märchen umorientiert haben. Rapunzel macht jetzt in Kurzhaarfrisuren und die 7 Zwerge treten neuerdings als K-Pop Boyband auf.
Das Wörtchen “Traumjob” bietet eben einfach zu wenig Freiraum. Dabei ist genau das, was viele Arbeitssuchende wollen. So fand das Portal Stepstone in einer Umfrage heraus, dass Freiheit der wichtigste Faktor bei der Jobauswahl ist. Erst auf Platz zwei kam der Wunsch nach einer sinnstiftenden Arbeit. Auffällig war, dass es der Punkt Bezahlung nicht in die Ergebnisauswertung schaffte. Das liegt wahrscheinlich daran, dass unser Einkommen nur bis zu einem bestimmten Grad glücksrelevant ist. Eine Studie von US-Forschern will belegt haben, dass ein Jahreseinkommen von 60.000 Euro die magische Grenze ist. Einmal drüber soll das Glücksgefühl nicht weiter zunehmen.
Kann ich mir jetzt irgendwie nicht vorstellen aber ok. #science.
Der Trend geht zum Zweitjob
Warum upcyclen wir den Traumjob nicht einfach in die Traumjobs. Diese neue Formulierung sagt: “Ich will die Freiheit haben, in einem Job zu arbeiten, den ich liebe.” Sie kann aber auch sagen: “Ich will die Freiheit haben, in einem Job zu arbeiten, der meine Rechnungen bezahlt, an den ich keine weiteren Ansprüche habe und den ich deshalb liebe.”
Oder für manche heißt es: “Ich will die Freiheit haben, meinen Traumjob alle sechs Monate zu wechseln.” Und genau deswegen will ich einmal als alte Frau auf meiner Veranda sitzen und stolz auf zahlreiche Traumjobs zurückblicken.
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