Die Kultur eines Unternehmens setzt sich aus vielen Komponenten zusammen. Wie nachhaltig sie ist, bestimmen die Werte, Normen und die Kommunikation innerhalb einer Organisation. Wie aber sieht moderne Unternehmenskultur in Zeiten von Digitalisierung, Globalisierung und Multikulturalismus aus? Das habe ich Lorenz Illing, Geschäftsführer der TAM Akademie gefragt. Warum Unternehmenskultur ein guter Klebstoff ist, welche Rolle Führungskräfte spielen und wie sich Unternehmen den aktuellen Herausforderungen stellen, hat er mir im Interview verraten. 

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Lorenz Illing – Geschäftsführer der TAM Akademie und New Culture Spezialist

Die TAM Akademie steht für moderne Arbeitsweisen. Wie würdest du eure Unternehmenskultur beschreiben?

Wir probieren viel aus und haben Spaß am Prozess. Das funktioniert gut über Trial & Error – dabei versuchen wir immer möglichst viele intelligente Fehler zu machen. 

„Unternehmenskultur ist gleichermaßen Klebstoff und Treibstoff“

Wie definierst du Unternehmenskultur?

Für mich ist Unternehmenskultur gleichermaßen Klebstoff und Treibstoff. Kultur erzeugt Verständnis, Geborgenheit und Zugehörigkeit. Teilen Menschen eine Weltanschauung, Ideale und vielleicht sogar Lebensumstände, schweißt das zusammen. Gruppendynamik entsteht immer dann, wenn es ein gemeinsames Ziel gibt. Mich persönlich hat meine Zeit im Leistungssport beim Grün-Gold-Club Bremen e.V. stark geprägt. Der damalige und heutige Cheftrainer hat eine leistungsorientierte Kultur erschaffen, die Leute aus ganz Deutschland anzieht. Das ist mir in der unternehmerischen Welt in der Form selten wieder begegnet.

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Wie finden Unternehmen zu einer gesunden Kultur?

Das hängt ganz von der Perspektive ab. Unternehmen definieren sich über einen gemeinsamen Arbeitsethos. Ein Konzern lebt andere Werte als ein Start-Up. Generell würde ich finanzielle Abhängigkeiten oder künstliche Hierarchien als ungesund einschätzen. Darunter leiden viele. 

„60% der Arbeitnehmer wollen ihren Job wechseln“

Wie äußert sich das?

60% der Arbeitnehmer wollen ihren Job wechseln. Wie aber soll ich als Arbeitgeber etwas mit einem Team erreichen, bei dem ein Großteil nur Mitreisende sind, die zwischendurch irgendwo wieder aussteigen?

Sollten Unternehmen also mehr auf die Bedürfnisse jedes Einzelnen eingehen?

Das Ziel sollte immer eine langfristige Zusammenarbeit sein. Geht man aber zu stark auf individuelle Bedürfnisse ein, entsteht eine Kompromisskultur. Ich finde den Ansatz von Jim Collins gut. Er sagt, dass man Kultur nicht erfinden, sondern entdecken muss. Habe ich meine Werte fest definiert, kann ich einen möglichen Konflikt schon während des Recruiting Prozess adressieren. 

Zum Beispiel?

Der Rucksackhersteller VAUDE sieht sich selbst als Familie mit über 2.000 Mitgliedern. Habe ich nun aber schon eine Frau, 2 Kinder und 3 Hunde zuhause und keine Lust auf das, was so eine Aussage mit sich bringt, ist diese Firma möglicherweise nicht der richtige Arbeitgeber für mich. 

Wie erschaffe ich eine nachhaltige Unternehmenskultur?

Werte explizit machen, leben und auch in schwierigen Zeiten dazu stehen. So prägt man Kultur. Es gibt diesen schönen Satz: „It´s not what you preach, it’s what you tolerate.“ Wenn ich an Integrität, Vertrauen oder Pünktlichkeit glaube und etwas toleriere, das meinem Wertesystem nicht entspricht, gehe ich meiner Kultur fremd.

„It´s not what you preach, it’s what you tolerate.“

Welche Rolle spielt die Führungskraft?

Wie glaubhaft ist eine Kultur, wenn sie von den einflussreichsten Mitgliedern nicht beachtet wird? „Leading by Example“ ist hier das Stichwort. Das ist nicht einfach. Ich, als Führungskraft, werde als erstes angeschaut, wenn es darum geht, ob mein Unternehmen für seine Werte einsteht. Dabei sollte ich meine eigenen Schwächen und Entwicklungsfelder explizit ansprechen können und nicht versuchen sie zu vertuschen.

Das heißt?

Nach TAM Auffassung ist Führung der kommunikative Prozess der zielorientierten Leistungssteigerung. Ich, als Führungskraft, möchte nüchtern gesagt, dass die Performance steigt. Wenn ich jetzt aber noch die Zufriedenheit der Mitarbeiter als Variable mit einbeziehe, dann habe ich einen modernen Blick. Dieses Verständnis von Führung kann man lernen.

„Führung kann man lernen“

Wie gelingt mir das?

Das schwierigste ist zu verstehen wo ein Mitarbeiter hinmöchte und zwar unabhängig vom eigenen Unternehmen. Wenn mehr Leute ihre Wünsche explizit machen, hat der Arbeitgeber vielleicht die Chance sie zu ermöglichen. Ich vermisse die Augenhöhe und die gemeinsame Suche nach Lösungen.

Welche Rolle spielt dabei das Engagement der Mitarbeiter?

Anhand eines Topgrading-Modells gewinne ich einen guten Überblick. Auf der X-Achse befindet sich die Performance, auf der Y-Achse die Kultur. Jetzt kann ich meine Teammitglieder entsprechend einsortieren. Dabei sind die B-Player, also Mitarbeiter, die noch eine geringe Performance haben viel wertvoller, als die C-Player mit einem hohen Output aber einem geringen Level an Kultur. Für diejenigen, die sich an die Regeln halten, wirken diese hochgradig demotivierend.

Die Welt ist Multikulti & Teams werden immer internationaler. Was macht New Culture aus?

Das Thema New Culture ist eigentlich gar nicht so neu. Wenn wir mal ein paar tausend Jahre zurückblicken, dann waren Vertrauen, kollaborative Zusammenarbeit und Verantwortungsaufteilung normale Werte. Wer sich nicht entsprechend verhalten hat, wurde aus der Gruppe ausgeschlossen. Man hat sich also an diesen kulturellen Maßstäben orientiert, weil es das eigene Überleben gesichert hat. 

„Wir wir sind zu Humanressourcen geworden“

Und heute?

Durch die Industrialisierung, Arbeitsteilung und den Tailorismus sind wir zu Humanressourcen geworden. Wir haben Menschen dazu erzogen sich in ihrem Job nicht in risikoreiche Situationen zu bringen. Alles muss in ein 40-Stunden Konstrukt passen. Das ist ein bisschen wenig Agilität für die bunten Lebensläufe, die wir alle mittlerweile haben.

Trotzdem sehnen sich viele nach einem „sicheren“ Arbeitsplatz?

Das Prinzip der Sicherheit wird oft missverstanden. Die größte Sicherheit, die ich haben kann, ist, dass ich an mich selbst glaube, um meine Kompetenzen weiß und an mir arbeite. Danach kommen meine Familie, Freunde und mein soziales Umfeld. Dann erst mein Arbeitgeber. Aber wieviel Sicherheit kann mir mein Arbeitsplatz wirklich geben? Ich würde mich eher fragen, ob ich die Kompetenzen habe immer wieder einen neuen Job zu finden. 

„Kultur ist ein kommunikativer Prozess“

Wie gestaltet sich Unternehmenskultur in Zeiten von Remote Work & Digitalisierung?

Sozialer Austausch lässt sich online nur schwer aufrecht erhalten. Kultur ist ein kommunikativer Prozess. Besonders jetzt muss ich im Dialog bleiben. Mit viel Glück hat sich meine Unternehmenskultur so manifestiert, dass sie sich selber schützt. Dann kommt es nur noch auf das große Ganze an. 

Fotocredit: trainer-akademie.de

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