Ein gelungenes Mitarbeiter Onboarding ist ein komplexer Prozess und in Zeiten von Fachkräftemangel aus dem Personalmanagement nicht mehr wegzudenken. Wie aber einen neuen Mitarbeitenden im Unternehmen willkommen heißen, ihn in Prozesse einweisen und Teamgefüge einbinden, wenn ein persönlicher Kontakt nicht möglich ist? Jill Mähler, Abteilungsleiterin für Training & Event bei der OTTO (GmbH & Co. KG), und ihre neue Mitarbeiterin Julia Ingwersen berichten, wie sie die letzten Monate empfunden haben, welche Strategien gefragt waren und worauf es in Zukunft ankommt.
Wie habt ihr die letzten Monate empfunden und was waren die größten Herausforderungen?
Julia: Die letzten Monate waren für mich eine spannende Lernreise. Hinter jedem digitalen Berg gab es eine neue Landschaft zu entdecken. Jede mit unterschiedlichen Facetten. Rückblickend kann ich vor allem eines sagen: Es war abenteuerlich und alles andere als langweilig.
„Hinter jedem digitalen Berg gab es eine neue Landschaft zu entdecken.“
Eine Herausforderung für mich war es anfangs gute Beziehungen mit den neuen Kolleg*innen aufzubauen, das geht im Büro schon einfacher. Eine weitere Herausforderung: Infos einsammeln, die sonst zwischen den Schreibtischen umherschwirren. Hier ist Eigenverantwortung ganz wichtig. Man muss sich immer aktiv selbst fragen: Wo brauche ich Infos? Gibt es Stellen, an denen es gerade ruckelt und ich mehr Wissen benötige?
Jill: Die letzten Monate waren auf jeden Fall aufregend, ständig neu und unheimlich bereichernd. Das virtuelle Onboarding neuer Mitarbeitender brauchte kreative Ideen, neue Routinen und viel Austausch, um das Ankommen bestmöglich zu begleiten. Die größte Herausforderung war aus meiner Sicht, es zu schaffen, dass ein Teamgefühl entsteht und man gut im Kontakt ist und weiß, was der*die andere gerade braucht.
Jill, wie hast du deine Mitarbeiter/-innen aktiv unterstützt?
Ich habe mit meinem Team zusammen einen neuen Einarbeitungsplan mit der Frage erarbeitet: Was bräuchtet ihr in welcher Reihenfolge, um remote gut im Team anzukommen? Dabei haben wir eine gute Mischung aus Socializing und Fachthemen geschnürt und über das gesamte Team verteilt, so dass viel Kontakt entstehen konnte.
Zum Thema Sozializing gehörten zum Beispiel Kennenlerntermine mit allen, Austauschtreffen mit Abstand oder digitale gemeinsame Mittagspausen oder digitale Afterworks. Gleichzeitig haben Julia und ich uns jede Woche in einer Routine Zeit genommen zu schauen, welche Fragen offen sind und was es gerade noch braucht.
„Zum Thema Sozializing gehörten zum Beispiel Kennenlerntermine mit allen“
Begleitend hatten wir eine einmonatige Einarbeitungsphase in den Fachthemen unserer Kundenserviceorganisation gemeinsam mit drei anderen Starterinnen in unserem Bereich auf die Beine gestellt. Auch regelmäßige Feedbackgespräche, Erfolge zu feiern und kleine postalische Grüße habe ich mir in der Begleitung einfallen lassen.
Ist das Verhältnis untereinander offener oder intensiver geworden?
Jill: Im Laufe der Wochen haben Julia und ich uns immer besser kennengelernt, wodurch unser Verhältnis aus meiner Sicht natürlich auch immer offener, intensiver und vor allem vertrauensvoller geworden ist. Dabei nehme ich keinen Unterschied im Kennenlernprozess und unserem Verhältnis zu einem „normalen“ Einarbeitungsprozess wahr. Das finde ich natürlich großartig!
Julia, was war im Home Office besonders wichtig, um dich gut aufgehoben zu fühlen?
Julia: Ein warmes und herzliches Willkommen im Team. Sich regelmäßig digital ins Gesicht schauen, um ein Wir-Gefühl zu bekommen. Und natürlich jede Menge Feedback, um zu wissen wo man steht.
Hat sich während dieser Zeit etwas an deiner Arbeitsstruktur oder dem Einsatz von Tools geändert?
Julia: Ein ganz klares Ja! Ein paar Beispiele: Ich nutze durch unsere neue Arbeitsweise deutlich mehr digitale statt analoge Tools, etwa eine digitale To-do-Liste“. Man könnte sagen, ich bin „hybrid“ geworden.
Auch meine Einstellung hat sich durch die virtuelle Arbeitswelt verändert. Ich habe gelernt: In der digitalen Welt kannst du nicht alles mitbekommen. Und das ist okay. Ein Post bei Microsoft Teams kann mal unter den Tisch fallen, ich kann nicht alle Benachrichtigungen überall immer lesen. Viel wichtiger ist: Ein Auge für das Wesentliche bekommen!
„Man könnte sagen, ich bin „hybrid“ geworden“
Auch in punkto „Klare Struktur für Arbeitsziele und Zeitplanung“ gab es für mich wahre Aha-Momente. Infos und Beiträge auf den vielen digitalen Kanälen stellen eine große Verlockung dar, lenken aber auch schnell ab. Deshalb habe ich mir feste Terminblocker eingebaut, in dieser Zeit kann ich die verschiedenen Beiträge nachverfolgen. Frei dem Motto: Ich sollte nur auf einer Hochzeit gleichzeitig tanzen.
Jill, hast du dich als Führungskraft besonders gefordert gefühlt oder bist auch mal an deine Grenzen gekommen?
Jill: Die Einarbeitung auf diese Weise war schon fordernd. Es braucht sehr viel mehr bewusste Planung, was Inhalte, Termine und Austauschformate angeht und dann auch immer wieder neue und kreative Lösungen. Gerade das Informelle, das Gefühl für die Dinge und unsere Zielgruppe haben mich echt herausgefordert. Unabhängig von der Einarbeitung brauchen emotionale Themen normalerweise eine synchrone Kommunikation und das ist mir via Bildschirm nicht immer leichtgefallen. Manchmal hätte ich mir da schon die Tafel Schokolade oder das Taschentuch gewünscht, das man einfach mal rüberreichen oder den anderen auch mal drücken kann.
„Ich habe mir einen Plan mit flexiblen Elementen gemacht“
Hast du eine Strategie verfolgt oder aus dem Bauch heraus reagiert?
Jill: Ein klares sowohl als auch. Ich habe mir einen Plan mit flexiblen Elementen gemacht, von dem ich dann regelmäßig nach Bauchgefühl und aktueller Lage abgewichen bin. Da der Onboarding-Prozess hochgradig individuell ist, ist es wichtig einige fest geplante Eckpfeiler zu haben, dann aber alles Weitere mit dem Mitarbeitenden abzustimmen und bedarfsorientiert zu planen.
Julia, was könnte für dich zukünftig beibehalten werden?
Julia: Die Kombination aus Arbeiten vor Ort und von zuhause. Vor Ort im Büro kann ich mich schnell mit meinen Kolleg*innen austauschen. Zuhause an besonders kniffligen Themen tüfteln, für die es Ruhe braucht.
Jill, hat sich der Umgang im Unternehmen z.B. im Bezug auf Kunden oder Kommunikation geändert?
Jill: Aus meiner Sicht sind wir in vielen Themen schneller und mutiger geworden, haben einfach mal Dinge ausprobiert und sind schrittweise vorgegangen. In einer Zeit, wo es gar nicht möglich ist, weit vorauszuplanen, war das eine der großen Chancen, die wir gut genutzt haben. Gleichzeitig erlebe ich eine noch transparentere Kommunikation und einen Sprung im Thema digitalen und mobilen Arbeiten. Der persönliche Umgang hat sich aus meiner Sicht remote nicht verändert, die OTTO-Kultur konnten wir in meiner Wahrnehmung via Teams gut transportieren – auch wenn mir der Campus als Identifikationspunkt schon ein bisschen fehlt.
„Wir sind in vielen Themen schneller und mutiger geworden“
Wie hast du deine Mitarbeitenden auf den „normalen“ Arbeitsalltag im Büro vorbereitet?
Jill: Schrittweise. Wir haben viele Teamrunden genutzt, in denen wir zusammen drauf geschaut haben, was uns als Team und einzeln wichtig ist. Aktuell entscheiden wir flexibel, wer wie häufig im Büro oder zu Hause arbeiten möchte.
Worauf kommt es für dich in Zukunft an?
Jill: Für mich kommt es in Zukunft darauf an die guten Learnings aus den letzten Wochen und Monaten beizubehalten und zu stärken. Die aktivitätsbezogene Wahl des Arbeitsortes wird künftig an Bedeutung gewinnen. Auf der inhaltlichen Ebene sind eine gute Selbstführung, Eigenverantwortung und Selbstkundgabe der Schlüssel für mich. Im Team werden der Dialog und gegenseitige Achtsamkeit wichtig bleiben. Leitfragen sind dabei für mich: „Was brauche ich, um mich dem Team zugehörig zu fühlen und was braucht das Team, um schlagkräftig zusammenarbeiten zu können?“
„Die aktivitätsbezogene Wahl des Arbeitsortes wird künftig an Bedeutung gewinnen“
Welche positiven Erkenntnisse habt ihr aus den letzten Monaten gezogen?
Julia:
- Neu an Bord kommen kann auch digital funktionieren!
- Virtuelles Arbeiten bietet die Chance auf neue Perspektiven. Zum Beispiel „international“ vernetzt zu arbeiten. Vielleicht sind wir erst durch Corona so standortübergreifend ein Stückchen näher zusammengerückt
- Eine neue Situation bietet die Chance neu zu Denken. Quasi ein weißes Blatt Papier bemalen.
- Es braucht ein gutes Team und ein wachsames, unterstützendes Auge füreinander.
Jill:
- Es kommt immer anders als man denkt und dabei ist immer alles möglich.
- Es ist immer eine Mischung aus dem bekannten „Können-Dürfen-Wollen-Dreieck“ und es entscheidet sich beim „wollen“.
- Miteinander in Kontakt zu sein und gemeinsam Lösungen zu finden, ist auch digital wunderbar möglich.
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