Habemus Papem! Wenn es jemanden gibt, der den Titel BGM-Papst verdient hat, dann ist es Prof. Dr. Volker Nürnberg. Als BWL-Professor für Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) und Partner und Leiter des Fachbereich Gesundheitswirtschaft der BDO AG führt in Sachen gesunde Arbeit kein Weg an ihm vorbei. Trotz Titelflut muss auch er mit den Begebenheiten der neuen Normalität kämpfen. So findet die Geburtstagsparty letztes Jahr virtuell statt, es wird vom nächsten Urlaub geträumt und auf dem Schreibtisch zuhause herrscht geordnetes Chaos. Welchen Herausforderungen sich Unternehmen in den letzten Monaten stellen mussten, warum Home Office leichter gesagt, als getan ist und was gesunde Führung jetzt ausmacht, hat er mir im Interview verraten.

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Volker, was beschäftigt dich momentan am Meisten?

Die Frage: Wie sieht eigentlich mein Home Office aus? Ich denke so geht es momentan vielen Menschen. Ist es aufgeräumt? Ist es präsentabel? Was könnten die anderen Leute denken, wenn sie meinen Hintergrund sehen? Durch die Digitalisierung dringen wir tief in das Privatleben der Menschen ein. Der Einblick ins Home Office lässt durchaus Rückschlüsse auf den Besitzer zu. Da möchte natürlich niemand als völliger Chaot rausstechen. Mittlerweile sind ja auch schon manche Situationen böse geendet. In der Tat muss man also vermehrt drauf achten, was auf dem Schreibtisch liegt.

„Es ist eine extrem schwierige Situation, die mehrdimensionale Belastungen mit sich bringt.“

Abgesehen davon, welche Belastungen zieht die Situation aktuell mit sich?

Es ist eine extrem schwierige Situation, die mehrdimensionale Belastungen mit sich bringt. Zum einen haben wir immer noch über 10 Millionen Menschen in Kurzarbeit, die dementsprechend unter finanziellen Sorgen leiden. Dazu kommen viele Andere, die Angst haben ihren Job zu verlieren. Man kann sich vorstellen, was das mit der Psyche anstellt. Aber auch das Home Office selbst ist alles andere als einfach. Das fängt bei trivialen Belastungen, wie zum Beispiel Bewegungsmangel und ungesunder Ernährung an.

Prof. Dr. Volker Nürnberg

Und endet mit….?

Im Büro stellen wir höchste Anforderungen an unsere Arbeitsplätze und -sicherheit. Und Zuhause können wir das eben nicht. Viele haben nicht mal ein Arbeitszimmer. Das macht die Situation schwierig. Zudem erleben wir gerade eine dramatische Entgrenzung der Arbeit. Die Mehrheit der Leute arbeitet mehr und länger. Privat – und Berufsleben verschmelzen miteinander. In 95% der Firmen gibt es keine Regelung zum Home Office, das heißt keine Arbeitsfenster werden definiert. Dazu kommt die Doppelbelastung für berufstätige Eltern, die sich zusätzlich um die Kinderbetreuung kümmern müssen. Für mich war die Home-Schooling Phase das Schlimmste, was ich je erlebt habe.  

„Die Home-Schooling Phase das Schlimmste, was ich je erlebt habe.“

Wie können Führungskräfte darauf angemessen reagieren?

Wir haben in den Lockdowns vieles gut und richtig gemacht. Nur haben wir die psychosozialen Auswirkungen für die Menschen ignoriert. Jetzt sind Führungskräfte besonders gefordert. Gerade die, die täglich mit den Mitarbeitenden in Kontakt stehen. Führung auf Distanz ist schwierig. Dabei hilft es nicht, dass 80% der Führungskräfte in Deutschland ihre Position nicht auf Grund ihrer Qualitäten, sondern ihrer Fachkompetenz haben. Genau die sollen jetzt aus dem Stegreif virtuell führen. Dabei kommt es auf gute Kommunikation an. 

Was macht gelungene Kommunikation aus?

Ich muss mir als Führungskraft überlegen, wie ich mit meinen Mitarbeitenden kommuniziere. Via Telefon? Mache ich einen Videoanruf? Nutze ich Mail? Chat? Wie spreche ich sie an? Die Körpersprache fällt größtenteils weg, dadurch muss ich noch deutlicher kommunizieren. Zusätzlich stellt sich die Frage, wie ich die Kreativität, den Spirit von Teams erhalte, wenn jeder für sich Zuhause sitzt. Hinzu kommen noch die technischen Herausforderungen. Außerdam hat das Büro hat immer auch eine große soziale Funktion. Es ist wie eine Art Ersatzfamilie. Viele brauchen den Flurfunk, der ihnen zu Hause entgeht. Virtuelle Kaffeekränzchen oder zwischendurch persönliche Nachrichten sind also wichtig. Das alles sind Dinge, die Führungskräfte jetzt kompensieren müssen. 

„80% der Führungskräfte in Deutschland haben ihre Position nicht auf Grund ihrer Qualitäten, sondern ihrer Fachkompetenz.“

Aber…?

Auf der anderen Seite haben wir gemerkt, dass 30% der der persönlichen Besprechungen vollkommen unnötig sind. Das Home Office wird sich also auch nach Corona etablieren. Nicht als der Goldstandard des Arbeitens aber als eine Form von alternierender Arbeit. Präsenzfetischismus wird es nicht mehr geben. Das ist ein positiver Effekt. 

Was macht gesunde Führung jetzt aus?

Keiner hat mit der Pandemie gerechnet, wir hätten die Führungskräfte also nicht vorbereiten können. Jetzt müssen sie sich in eine neue Rolle einfügen. Als Moderatoren, Motivatoren und Coachs. Nicht mehr als klassischer Vorgesetzter, der nur disziplinarische Funktionen ausübt. In so etwas müssen Führungskräfte reinwachsen. Das fordert ein Höchstmaß an Empathie und Kommunikationsfähigkeit. Das kann nicht jeder. Dazu muss man selber ein hohes Maß an Resilienz mitbringen und ein gesundes Vorbild sein. 

Ein kooperativer Führungsstil, also den Mitarbeitenden in Entscheidungen miteinzubeziehen, ist essentiell. Das sind die sogenannten Soft-Skills, die Vorgesetzte heutzutage einfach haben müssen. Jeder Mensch ist verschieden und braucht ein anderes Maß an Zuwendung und Kommunikation. In dieser schwierigen Phase beneide ich die Führungskräfte nicht. 

Man sagt Führungskräfte nehmen ihren Krankenstand mit…

Es gibt dafür ein klassisches Beispiel: Eine Führungskraft bei einem Automobilhersteller in Bayern hat einen erhöhten Krankenstand in seinem Team und wechselt jetzt nach Niedersachsen. Nach zwei Jahren liegt er auch dort bei der selben Quote. 

Woran liegt das?

Der Krankenstand ist eine sogenannte Bettkantenentscheidung. Der Mitarbeitende sitzt morgens auf der Bettkante, der kleine Zeh tut ihm weh und er überlegt: „Geh ich arbeiten oder nicht?“ Wenn er unzufrieden mit seinem Arbeitsplatz ist, wird er sich krankschreiben lassen. Hat er einen emphatischen Vorgesetzten, dem sein Wohlbefinden wichtig ist, wird er zur Arbeit gehen.

„Wir hätten definitiv schneller agieren können.“

Welche Fehler wurden bei der „ 1. Welle“ gemacht?

Wir hätten definitiv schneller agieren können. Ich konnte manche Diskussion um die digitalen Tools nicht ganz nachvollziehen. Da gab es ja lange Debatten um den Datenschutz. Die Firmen haben nicht alles richtig gemacht aber man kann ihnen keinen Vorwurf machen. Wenn mehr Zeit gewesen wäre hätte man bestimmt Dinge, wie technische Ausstattung optimieren können. Die meisten Mitarbeitenden wurden im Home Office sich selbst überlassen und von der Geschäftsleitung nicht entsprechend betreut. Es hätte also sicher mehr Kommunikation und Zuwendung von oben geben können. In der Summe haben wir uns aber gar nicht so schlecht angestellt.

Es gibt also auch Positives zu berichten?

Auf jeden Fall sollten wir versuchen aus den Herausforderungen positive Lehren zu ziehen. Firmen bei denen Home Office früher ein No-Go war, haben jetzt gemerkt , dass Mitarbeitende Zuhause auch produktiv sein können und verantwortungsvoll mit ihren „Freiheiten“ umgehen. Wenn wir auf den internationalen Vergleich gucken, sind wir bisher ganz gut durch die Krise gekommen. Das ist sicherlich auch ein Verdienst der Firmen, die schnell und flexibel reagiert haben und größtenteils verständnisvoll mit außergewöhnlichen Situationen, wie Kinderbetreuung, umgegangen sind.  

„Corona hat wie ein Katalysator auf die Digitalisierung gewirkt.“

Und die Digitalisierung?

Corona hat wie ein Katalysator auf die Digitalisierung gewirkt und hat uns alle zwangsmäßig vorangebracht. Jetzt müssen wir diese Situation  nutzen. Es geht nicht darum, dass wir zukünftig alle Zuhause arbeiten. Gruppendynamisch & sozial wäre das fatal. Tageweise im Home Office und mit Hilfe von digitalen Tools arbeiten wird mit Sicherheit bleiben. Das ist eine große Errungenschaft. 

Wie können Arbeitgeber trotz Distanz Mitarbeiter motivieren und wertschätzen?

Ehrlich gesagt war bereits vor der Corona-Krise bei vielen Unternehme keine wertschätzende Führungskultur vorhanden. Bösartig gesagt, hat jedes Unternehmen, den Krankenstand, den es verdient. 

Was muss sich ändern?

Wir müssen wertschätzendes Führen wieder mehr lernen. Wir müssen die Mitarbeitenden in der Digitalisierung noch mehr mitnehmen und eine Feedbackkultur einführen. Das bedeutet auf verschiedenen Kanälen besser kommunizieren und Mitarbeitende auch Zuhause abholen. Es ist ein technisches Problem, ein kommunikatives, ein Thema des Führungsstils & der Führungskräfte. Führung ist die zentrale Stellschraube. Da haben wir ganz klar Nachholbedarf. 

„Führung ist die zentrale Stellschraube.“

Wir befinden uns in einem Markt mit Mangel an Fachkräften. Die Bindungen an die Unternehmen sind immer geringer geworden. Wenn Arbeitnehmer*innen also keine Wertschätzung erfahren, verlassen sie das Unternehmen. Man muss sich nur die gute alte Maslowsche Pyramide anschauen. Die höchsten Werte sind Selbstverwirklichung, Sinnhaftigkeit und Selbstbestimmung. Das muss ich meinen Mitarbeitenden geben, um sie langfristig zu binden. Dafür sind die Führungskräfte zuständig. Das ist aber sicher auch noch ein weiter Weg. 

Wie wird sich die Rolle der Führungskraft ändern?

Ich erhoffe mir, dass der disziplinarische Kontrollfetischismus, den wir haben nachlässt. Die Vorgesetzten haben gemerkt, dass Arbeitnehmer*innen auch ohne Kontrollmechanismen produktiv arbeiten. Ich erhoffe mir, dass wir die positiven digitalen Errungenschaften mit in die Zukunft nehmen und nicht wieder rein analog arbeiten. Außerdem braucht es einen Schub an Führungsqualität. Die Führungskräfte müssen ihre Rolle als Coach wahrnehmen. Ihre Mitarbeitenden fördern und fordern, nicht disziplinieren. Corona kann dazu eine Menge beitragen. Ein mitarbeiterzentrierter Führungsstil ist eine Win-Win Situation für die Firmen, die Führungskräfte aber auch die Arbeitnehmer*innen selbst. 

Danke an Prof. Dr. Volker Nürnberg

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